Entdeckung

 
Geschichte des Rett-Syndroms
"Über ein eigenartiges hirnatrophisches Syndrom bei Hyperammonämie im Kindesalter"
... lautete der Titel einer Publikation des österreichischen
Kinderarztes Dr. Andreas Rett in der "Wiener Medizinischen
Wochenschrift" vom 10. September 1966
 
(Anm.: Atrophie: Gewebsschwund; Hyperammonämie: vermehrtes Vorkommen von Ammoniak im Blut)


  Dr. Rett berichtete über merkwürdige Zusammenhänge im Krankheitsbild bei einigen seiner Patientinnen, die alle unter geistiger Behinderung und Epilepsie litten und die ausnahmslos seltsame aber identische Handbewegungen ausführten – Waschen und Kneten! Dies sollte viele Jahre später zum Symbol des von ihm entdeckten Rett-Syndroms werden.
Zunächst jedoch wurde der Bericht in der Fachwelt kaum beachtet. Sogar ein Buch über die neu entdeckte Krankheit, das Dr. Rett noch 1966 schrieb, ging einfach unter. Denn einerseits stellte sich bald heraus, dass die angebliche Hyperammonämie auf einen Meßfehler des Labors zurückzuführen war, heute ist diese längst kein Merkmal des Rett-Syndroms mehr. Andererseits waren die Veröffentlichung sowie das Buch auf Deutsch geschrieben und fanden somit keinen großen internationalen Anklang in der Fachwelt.


Also geriet das neu entdeckte Rett-Syndrom leider wieder in Vergessenheit.... bis 1983 der Schwede Bengt Hagberg in den "Annals of Neurology" erneut 35 Fälle beschrieb. Nun wurde die Krankheit plötzlich weltweit bekannt. Man besann sich bei der Namensgebung jedoch auf den ursprünglichen Entdecker.

In Deutschland beschäftigte sich in den 80er Jahren der Kinderarzt Prof. Hahnefeld, Universitätsklinik Göttingen, intensiv mit dem Rett-Syndrom und auf seine Initiative hin wurde 1987 die Deutsche Elternhilfe für Kinder mit Rett-Syndrom gegründet.

Die Entdeckung des Rett-Syndroms beruht, wie viele große Erkenntnisse in der Medizin, auf einem Zufall:
 
"Eines Tages im Frühjahr 1965 saßen zwei Mütter, die ihre Kinder auf dem Schoß hielten, im Warteraum.

Beide Kinder schaukelten hin und her und ihre Mütter hielten ihre Arme fest. Ich kannte die beiden Kinder, die wegen epileptischer Anfälle behandelt wurden, sehr gut. An diesem Morgen ging ich (Anmerkung: ich, Dr. Andreas Rett) wiederholt an ihnen vorbei und zufällig ließen die Mütter die Arme ihrer Kinder los.
 
 Sofort steckten die Kinder die Hände zusammen und begannen fast identisch aussehende Waschbewegungen. Ich bat die Mütter, diese Bewegungen nicht wieder zu stoppen, und war über die Ähnlichkeiten überrascht: Es waren der selbe starre Blick, der gleiche Gesichtsausdruck, die gleichen schwachen Muskeln und die gleichen stereotypen Bewegungen ihrer Hände." Die typischen stundenlangen Reib- und Knetbewegungen der Hände vor der Brust oder vor dem Mund sind eine der Grundlagen der Diagnose."

(Auszug aus der Wiener Zeitung nach einem Bericht von Friedrich Katscher, erschienen am 05.11.1999 über die Entdeckung des RS durch Dr. Andreas Rett)
 
Viele Jahre lang konnte das Rett-Syndrom nur aufgrund ausgeprägter Symptome diagnostiziert werden. Das bedeutet, es wurden nur schwere Fälle der Krankheit erfasst und das Rett-Syndrom stellte sich als eine in allen Fällen schwerst verlaufende Erkrankung dar. Die Diagnose war eine klinische.

Zwischenzeitlich arbeiteten Wissenschaftler fieberhaft daran,
den Genort der vermuteten Mutation zu lokalisieren. Im Jahre
1998 war es soweit, man konnte die Suche eingrenzen auf
Bande 28 im langen Arm des X-Chromosoms (Xq28) und fand
dann auch bald das verantwortliche Gen, MECP2. Erreicht hat
dies die  Professorin für Kinderheilkunde, Neurologie, molekulare
und Humangenetik und Neurowissenschaft am Baylor College of                                   
Medicine in Houston, Dr. Huda Y. Zoghbi, in Zusammenarbeit
mit Frau Prof. Uta Francke, US-Genetikerin und Entwicklungsbiologin
 an der Stanford-Universität.

Seit Oktober 1999 steht nun ein Gentest zur Verfügung und seitdem präsentiert sich das Rett-Syndrom wesentlich vielgestaltiger als man vorher vermuten konnte. Denn der Gentest filtert seit Oktober 1999 auch die weniger typischen Fälle heraus und ordnet sie eindeutig dem Rett-Syndrom zu.

Die Diagnose kann mit Hilfe des Gentestes nun auch wesentlich früher gestellt werden, da bereits der Verdacht auf Rett-Syndrom genügt, um die Untersuchung einzuleiten. Man muss nicht mehr warten, bis die typischen Symptome auftreten. Es zeigt sich, dass es doch eine Reihe von relativ milden Verlaufsformen gibt. Vereinzelt wurden sogar Jungen als Rett-Kinder diagnostiziert.

Das Rett-Syndrom muss also nicht zwangsweise so schwerwiegend verlaufen wie in der (alten) Literatur beschrieben: "Mädchen, die weder laufen, krabbeln noch sitzen können, die nicht sprechen, keine sinnvollen Handfunktionen besitzen, epileptische Anfälle bekommen, eine Skoliose entwickeln und stark autistisch sind."

Andererseits kann niemand den Eltern eine genaue Prognose über den Verlauf geben. Das ist sehr belastend für die Betroffenen. Und wenn dann tatsächlich die Regressionsphase einsetzt und das Kind in rascher Folge Fähigkeiten verliert, innerhalb weniger Wochen oder Monate stark einbricht, stehen die Eltern hilflos dabei und sind innerlich zerrissen vor Mitleid, Angst, Entsetzen, Trauer.

geschrieben von Herta im März 2003
in der neuen Fassung vom November 2004
Dieser Text, oder Auszüge davon, wird verschiedentlich im Internet kopiert.
Soweit das seriöse Zwecke betrifft, die den Zielen der Elternhilfe dienen, bin ich einverstanden..
Das Urheberrecht liegt bei Herta
 
 

Share by: