Sprache

Wie kommuniziert ihr?

Oft stellt man uns diese Frage. Dann versuche ich das Selbstverständliche in Worte zu fassen, denn die Kommunikation ist einfach da. Sie geschieht von selbst über viele Kanäle. Aus der Vertrautheit heraus und mit den Erfahrungen wächst das Verstehen, das Wissen um Bedürfnisse jeden Tag neu. Intuition ist gefragt. Sofia reagiert indem sie nicht reagiert, oder mit Blicken, mit dem Patschen auf Gegenstände zeigt sie einen Wunsch, indem sie ihre Stirn auf etwas legt drückt sie ein Ja aus, das Wegdrehen des Kopfes heißt nein. Mimik und Körperhaltung, lachen, lächeln, weinen. Schreien und sich selbst verletzten bedeutet Verzweiflung. Glucksen und lautieren ist Glück. Wir vermissen die Lautsprache eigentlich nicht. Sofia nutzt auch Hilfsmittel für die unterstützte Kommunikation, einen Big Mack, den Powerlink. Ein Versuch mit der Augensteuerung am PC ist an ihrer websigen Unruhe gescheitert. Die Kommunikation mit Sofia ist auf jeden Fall immer ehrlich und authentisch. Und ganz direkt auf den Moment bezogen.
Was ich schwierig finde und was uns fehlt ist die Möglichkeit, Schmerzen zu lokalisieren. Und was mich traurig macht ist der fehlende Zugang zu Sofias Gedankenwelt.
Hinter dem Schleier eine ganze Welt

Ganz selten hebt sich der Schleier für einen Augenblick.
Da war zum Beispiel jener Schultag, 2. Grundschulklasse, als Sofia die ganze Klasse samt Lehrkräften und Betreuern schockte, als sie im Morgenkreis laut und deutlich sagte:

"Florian, der Himmel ist blau." 

Fassungslos starrten alle auf Sofia. Ein nicht-sprechendes Kind öffnet den Mund und sagt einen korrekten, situationsgerechten 5-Wort-Satz.

Die Klasse sprach gerade vom Wetter. Draußen strahlend blauer Himmel. Ihr Schulbegleiter hieß Florian. Ihn hatte sie angesprochen mit ihrem Beitrag zum Thema.

Alle Anwesenden, Lehrkräfte, Betreuer und Pflegekräfte in der Schule, können das bezeugen.

Danach verstummte Sofia wieder für viele Jahre.

Immer wieder frage ich mich ob Sofia in Worten und Sätzen denken kann? Die Sprachentwicklung wurde ein Stück weit vollzogen bevor das Sprechen wieder eingestellt wurde. Ist die Sprachentwicklung im Kopf weitergelaufen auch wenn die, dem Rett-Syndrom eigene Apraxie - das Sprechen verhindert?

RETT   wie Rätsel....
Hier geht es um Sprache!
 
Lautieren, Silbenketten bilden, das tue ich den ganzen Tag.   Ich imitiere das Klangbild der Sprache, es klingt wie eine Fremdsprache, sagen die Leute. Einmal ist Mama schon gefragt worden, ob sie eine Deutsche sei, weil doch die Tochter fließend ausländisch spricht.
Mama sagt, meine Lautmalerei ist total süß.

Hier gibt es einen kurzen Einblick in mein aktuelles
W ö r t e r b u c h
(es ändert sich jedoch oft)                                                    (Stand 1/2003, 4 Jahre)


Ada         Fortgehen, Spazieren  
Appa       Opa
Audi        Auto
awro      aufräumen
Ba          Ball
bah       volle Windel oder pfui
Bibi        Baby, kleines Männchen/Tierchen/Vogel
Bibi ei    Bibi genanntes streicheln
bita        später z.B.gibt es was Süßes
Bo          Brot mit Nutella  
Brei        Brei
Bruda     Bruder Florian
da           da (zeigen)
Decka    Flugzeug  
ei            streicheln     
fah ma    fahren wir   
ferti         fertig    
ga           gehen
geh ma  gehen wir
halla       hallo
Halla     Telefon
ja           ja   
hei         heiß
Kai         Kaba heiß        
Ke           Keks      
Kinda      Kinder     
Li             Licht   
liege        liegen   
Kriga        Kristina Schwester  
Ma            Essen 
Mama        Mama   
Mamaga   Anorak, Jacke   
Papa         Papa
pi               pieksen
Mama sagt, ich mache etwas das "ECHOLALIE" heißt????
Mama, red mal deutsch mit mir, bitteschön. Was ist denn das?
 
Ach soooo, es bedeutet soviel wie Nachhall. Ich wiederhole Wörter spontan (meist die letzten im Satz). Aber nochmal sagen würde ich die ja nie!! Macht euch keine falschen Hoffnungen.
 
Diese Echolalie-Wörter oder wie die heißen, rechnet Mama nicht zu meinem Wortschatz dazu.
 
Mama ist besonders stolz auf mein Wort "pi" für pieksen. Denn das habe ich selber, höchstpersönlich und ganz alleine einmal im richtigen Zusammenhang das erste Mal angewendet. Ich streichelte die Kiefer im Garten, sagte zuerst "ei" und dann - etwas überrascht - "pi". Weil sie gepiekst hat mit ihren Nadeln. Das war eine ganz besondere Situation. Seitdem gehört "pi" zu meinem festen Wortschatz und ich wende es bei passender Gelegenheit richtig an.
Im Vergleich dazu: als ich das Wort "hei" gelernt habe, hatte ich vorher an den heißen Wasserhahn gefaßt und meine Mama sagte "heiß!". Da habe ich kapiert was heiß ist und habe wiederholt "hei". Dann war auch "hei" Teil meines festen Wortschatzes.
Aber "pi" - das habe ich nicht wiederholt sondern alleine passend angebracht. Jaaa, ein dickes Lob war dann natürlich das mindeste von Mama...

 
 Bei mir war es schon immer so: Wörter gehen verloren, neue kommen hinzu. Mama hat sich selber den Begriff "fließender Wortschatz" dafür ausgedacht. Fließend ist die Hälfte meiner Worte, die andere Hälfte ist ganz fest, schon mindestens seit zwei Jahren. Die festen Worte habe ich zuerst gelernt. Mein allererstes Wort war übrigens "Mama" - nicht sehr originell, oder - und zwar gesprochen mit 12 Monaten.

Herta im Jahr 2003
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